Dies ist ein Gastbeitrag von Judith Huber.
Worum geht es im Kern beim Wissensmanagement? Ganz einfach: Um Kommunikation.
Es wird ruhiger um die Thematik des Wissensmanagements – ich finde zu Unrecht. Liegt es vielleicht daran, dass seit fast 50 Jahren zu dieser Thematik geforscht wird und die Ergebnisse dennoch unbefriedigend sind? Weil sich alle – auch Verantwortliche in Unternehmen – mehr vom Wissensmanagement erhofft haben, doch die Erwartungen nicht erfüllt wurden?
Um diesem Trend entgegenzuwirken, möchte ich das Thema heute aufgreifen. Denn es geht beim Wissensmanagement um einen Kernprozess in Unternehmen. Nämlich um den Wissensaustausch unter den Mitarbeitenden. Und damit um Kommunikation, wodurch Beziehungen, Netzwerke und Vertrauen gefördert werden – ja, richtig gelesen, sogar Vertrauen!
Ich werde darauf eingehen, was die Kommunikationsforschung zum Wissensmanagement beitragen kann. Denn: Sie untermauert den aktuellen Trend für „New Work“ und damit ganzheitliche Rahmenbedingungen im Unternehmen, die den Mitarbeiter in den Fokus stellen.
Ein kurzer Rückblick zur Entstehung von Wissensmanagement
In den 1950er Jahren entwickelte sich die deutsche Wirtschaft von einer Industrie- zu einer sogenannten Wissensgesellschaft. Wissen war neben Land, Kapital und Arbeit der nächste Produktionsfaktor oder die nächste „Ressource“. Das Thema „Wissensmanagement“ kam erstmals in den 1970er Jahren auf, als die ersten IT-Lösungen entwickelt wurden, um Wissen in Unternehmen einer breiteren Masse zugänglich zu machen. Seit den 1990er Jahren dominiert die Managementtheorie das Thema, da es sich um eine klassisch betriebswirtschaftliche Frage handelt, wie Organisationen den Einsatz von Wissen als Wettbewerbsfaktor steuern und kontrollieren können.
Seit den 2000ern wurde viel Kritik an der Sichtweise geübt, dass Wissen eine Ressource oder „sachliche Information“ ist und gezielt gesteuert werden kann. Vertreter sind der Meinung, dass das Wissen in den Köpfen der Menschen höchst individuell ist und nicht so leicht als „Gegenstand“ verstanden werden kann. Außerdem stehen mittlerweile zahlreiche Barrieren im Mittelpunkt des Interesses, die das Teilen von Wissen behindern. Dazu später mehr.
Was ist Wissen eigentlich? Eine mögliche Perspektive.
Es ist nahezu unmöglich eine eindeutige Definition von Wissen zu finden. Daher fasse ich zusammen, was aus meiner Sicht ein erweitertes, modernes Verständnis von Wissen repräsentiert:
- Wissen ist subjektiv. Es entsteht durch höchst komplexe Prozesse im Kopf des Menschen und wird mit eigenen Vorstellungen und Erfahrungen verknüpft und geformt.
- Wissen entsteht durch Kommunikation. Erst durch den Austausch erlangen wir Wissen. Dafür müssen wir nicht in einer Schulung sitzen, sondern schon seit wir auf der Welt sind lernen wir tagtäglich Neues – durch die Interaktion mit unserer Umwelt.
- Wissen ist an Kontexte gebunden. Damit meine ich, dass Wissen in einem spezifischen Kontext erworben wurde und nicht automatisch allgemeingültig ist. Natürlich setzen wir erlerntes Wissen aber auch an anderer Stelle ein und es hilft uns, in neuen Situationen zu handeln.
- Viel Wissen schlummert in uns. Denn es ist in der Arbeitswelt gar nicht mal so leicht, Wissen immer an der richtigen Stelle parat zu haben und mit anderen zu teilen. Dabei spielen sowohl persönliche als auch Faktoren in unserem Arbeitsumfeld eine Rolle.
Wissensaustausch ist mehr als einfach nur Wissen zu teilen.
Viel passiert natürlich in unserem Kopf – wenn wir nachdenken wird durch Reflexion unser Wissen an die Oberfläche geholt, wir erinnern uns. Oder wem geht es auch so, dass einem oft in einem Gespräch mit Anderen noch Dinge einfallen und unser Wissen dadurch getriggert wird („Mensch gut, dass du das sagst. Das erinnert mich daran, dass ich doch letztens erst bei einem Vortrag war, in dem ich etwas zu genau deinem Thema gelernt habe.“). Kommunikation setzt immer erst einmal zwei Gegenüber voraus, die miteinander interagieren. Typischerweise wird in der Kommunikation Wissen wechselseitig „gesendet“ und „empfangen“. Doch es passiert beim Wissen noch viel mehr. Wer kennt sie nicht, die vier Funktionen einer Nachricht. Eine Nachricht transportiert zum einen den sachlichen Inhalt, aber auch eine Information über die Beziehung zueinander, eine Aufforderung und eine persönliche Selbstkundgabe – alles zwischenmenschliche Themen.
Zusätzlich geht es in der Kommunikation ja hauptsächlich darum, sich auch zu verstehen (so oft kämpfen wir im Alltag mit Missverständnissen). So ist es auch beim Wissensaustausch – einfach nur Wissen teilen, ohne dass der Gegenüber verstanden hat, worum es eigentlich geht, macht wenig Sinn. Empathie und ein offener Dialog spielen dabei eine entscheidende Rolle, um sicherzugehen, dass das Gesagte auch richtig ankommt.
Einleitend habe ich erwähnt, dass Kommunikation Vertrauen stiftet. Ein Beispiel: Wenn ich meinem Kollegen mit einer Erfahrung aus einem Projekt weiterhelfe, ist es sehr wahrscheinlich, dass dieser Kollege auch mir in Zukunft bei Fragen weiterhelfen wird. Dies muss nicht sofort passieren, aber ich kann gewissermaßen darauf vertrauen. Das dahinterstehende Phänomen kommt aus der Soziologie und nennt sich „Reziprozität“. Sie beschreibt das „Wie du mir, so ich dir“ im positiven Sinne. Und wie man daran sieht, passiert beim Wissensaustausch noch viel mehr als nur das Anhäufen von neuem Wissen. Beziehungen entstehen oder verfestigen sich, Vertrauen wird aufgebaut und wir fühlen uns gleichzeitig selbstwirksam, wenn wir anderen mit unserem Wissen weiterhelfen.
Nur warum, wenn es doch so viele Vorteile hat, fällt genau das manchmal so schwer?
Barrieren des Wissensaustauschs: Wem kommen diese Sätze bekannt vor?
“Ich glaube nicht, dass mein Wissen zu diesem Thema anderen helfen würde. Das ist doch nur für mich relevant. Und ob das 100 %ig stimmt bin ich mir auch nicht sicher.”
„Wenn er im Meeting berichtet, verstehe ich einfach gar nichts. Viel zu viel Fachsprache.”
„Diejenigen, die schon länger dabei sind, können von mir als Neuling doch sowieso nichts lernen.“
„Also das was er damals erzählt hat, hat hinten und vorne nicht gestimmt. Ihm glaub ich nichts mehr.”
„Und wann soll ich mein Wissen für andere dokumentieren – dafür habe ich nun wirklich keine Zeit!”
„Dann verkaufen die mein Wissen wieder als ihres und machen sich beim Chef beliebt.”
„Die sollen das mal schön selbst erarbeiten und sich die gleiche Mühe machen wie ich. Mir schenkt ja auch niemand was.”
„Wissen teilen? Dafür werde ich von meinem Chef nicht bezahlt.“
„Ich weiß nicht mal wo ich einen fachlichen Ansprechpartner in meinem Unternehmen finden soll.“
Sehen Sie? Es gibt viele Haltungen, die einen Wissensaustausch verhindern und uns tagtäglich in der Arbeit begegnen können. Daran anzusetzen und die Gründe zu hinterfragen ist für mich ein entscheidender Schritt, der oft in Organisationen vernachlässigt wird. Denn, bevor diese Barrieren nicht abgebaut werden, wird kein Wissen ausgetauscht werden und Wissensmanagement verliert an Legitimationsgrundlage.
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